Plattenkritik: The Notwist - Close To The Glass„Nur durch den Blubber-Vorhang durch …“ - Ein Streitgespräch

Notwist Cover

The Notwist aus Weilheim sind wahrscheinlich Deutschlands wichtigste Indie-Band. Ihr siebtes Studio-Album „Close To The Glass“ traut sich in modulare Krautrock-Soundgefilde, Chris Isaak'sche Elegie und bleibt der Band dennoch derart treu, dass, spräche man von Corporate Sound, eine große Untertreibung vorläge. Thaddeus Herrmann und Ji-Hun Kim haben sich das Album gemeinsam angehört. Ein Dialog über eine, mal wieder, ziemlich gute Platte.

  1. Signals

Ji-Hun: Notwist haben offenbar den Modularsynth für sich entdeckt. Erinnerst du dich noch als sie auf der letzten Tour mit Wiimote auf der Bühne standen?
Thaddeus: Oh ja, der Martin Gretschmann. Lange Haare, zwei Controller. Und ein Lemur war doch auch am Start, oder? Wirkte ein bisschen deplatziert, war aber sehr amüsant.
Ji-Hun: Ist das jetzt zu altherrig?
Thaddeus: Ich bin ja Fan von Blubber-Sounds. Aber ob Notwist 2014 ein Album noch so eröffnen muss?
Ji-Hun: Naja, Depeche Mode haben sich doch auch für 10 Mio. Doepfer-Geräte fürs letzte Album gekauft, oder?
Thaddeus: Das Doepfer-System will ich ja mal sehen.
Ji-Hun: Gab‘s mal auf YouTube. Anyway, eigentlich ein solider Opener.
Thaddeus: Total. Zumal der Songs, der sich dahinter verbirgt, ja eigentlich sehr klassisch ist. Man muss nur durch den Blubber-Vorhang durch. Ob das allen gefällt?

  1. Close to the Glass

Ji-Hun: Das Intro erinnert mich seltsamerweise an alte Tool-Nummern. So ‘ne Kunstmetal-Band, die du aber wahrscheinlich nicht kennst.
Thaddeus: Tool? Lann man auch anders deuten. Ist ja durchaus auch toolig im Techno-Kontext. Hätte Troy Pierce auch so machen können. 2006.
Ji-Hun: Jetzt übertreib‘ mal nicht. Sind ja doch eher Holzhüttensounds. Waren also die Neubauten eine Referenz an Stahlwerke, klingt das eher nach kanadischem Sägewerk, ist doch hipstermäßig eine gute Referenz.
Thaddeus: Ich mag die Art und Weise nicht, wie die Vocals hier prozessiert sind. Und dieses Hippietum in der Produktion. Das Geklatsche! Neeee.

Martin Gretschmann Wii

Martin Gretschmann (macht auch als Console und Acid Pauli)

Max Punktezahl

Max Punktezahl (Live-Gitarrist und früher bei Contriva)

„Ich bin ja Fan von Blubber-Sounds. Aber ob Notwist 2014 ein Album noch so eröffnen muss?“

03. Kong

Ji-Hun: So einen Notwist-Song gab es seit der „12“ nicht mehr, nur ohne Zerre und Teenage Angst. Ich mag das verzweifelte Jay-Mascis-Falsett.
Thaddeus: Sehr klassische Angelegenheit. Im besten Sinne. So einen Track hätte man schon 1985 machen können und wird 2025 immer noch funktionieren. Gut! Also zeitlos. Noch so ein Klischee, dass ich eigentlich nie droppen würde. Aber hier passt es irgendwie.
Ji-Hun: Der Acher hat doch noch nie Falsett gesungen, oder? Das kann man als Weiterentwicklung misinterpretieren.
Thaddeus: Der oder der andere Acher?
Ji-Hun: Der Sänger-Markus.
Thaddeus: Und solche Tracks nimmt die Band dann auf, wenn Gretschmann im Kater Holzig spielt?
Ji-Hun: Haha. Ich hab schon immer gesagt, dass ein 90er Indierevival kommt, ob ich das allerdings aus Weilheim serviert bekommen möchte, weiß ich nicht.
Thaddeus: Weil das so eine gewisse Schwere hat? Oder warum?
Ji-Hun: Eher eine Frage des Kontexts.

„Ich stell mich demnächst auch mit 808-Kuhglocke an dein Bett.“

04. Into Another Tune

Ji-Hun: Timbaland-Streicharpeggi! Jetzt könnte auch Aaliyah anfangen, ne, ist ja immer noch Markus Acher.
Thaddeus: Und der leiert so in den Stimmbändern.
Ji-Hun: Das ist doch bestimmt eine handgekurbelte Studer-Tapemaschine von 1700. Ist aber auch nicht der stärkste Song, muss ich sagen.
Thaddeus: Immerhin mit 808-Kuhglocke.
Ji-Hun: Macht‘s die jetzt besser?
Thaddeus: An bestimmten Sounds kann ich mich ja sehr gut festhalten und orientieren. Das passt mir gut rein.
Ji-Hun: Ich stell mich demnächst auch mit 808-Kuhglocke an dein Bett, mal gucken, wie lange du dich da noch festhalten kannst.

05. Casino

Thaddeus: Komischer Text. Perfektes Denglisch.
Ji-Hun: Vom Songwriting aber sehr schön, komisch, dass mir die akustischen Songs bis jetzt besser gefallen. Waren es doch bis sonst doch immer die Schnittstellensongs, die groß waren in der letzten Zeit.
Thaddeus: Da muss ich nochmal zurück zu Depeche Mode. Die haben genau das auf ihrer letzten Platte ja komplett vergeigt. Es passt nichts mehr zum anderen. Gesang, Akustisches und dann die Elektronik. Bei Notwist empfand ich diese Mischung eigentlich immer als ein wenig bemüht, es hat aber dennoch gut funktioniert. Mein Eindruck beim neuen Album bislang ist, dass die neuen Sounds nicht so recht auf die neuen Songs passen wollen.
Ji-Hun: Das kann gut sein, auch wenn ich die letzte Depeche Mode nicht so gut kenne wie du, alter Mann.
Thaddeus: Nur alte Männer können es sich leisten, Bands wie Depeche Mode und Notwist überhaupt miteinander zu vergleichen.

##07. 7-Hour-Drive

Ji-Hun: My Bloody Valentine, wenn sie sich in der Waldorfschule getroffen hätten?
Thaddeus: Also gut. MBV durch und durch. Ich hätte mich ja nicht getraut, diesen Vergleich anzubringen, weil ich mich so schlecht in 90er-Indie auskenne.
Ji-Hun: Naja, nicht die Attidude, sondern eher die Distortion-Wolke am Anfang. Sonst gibt es heute ja auch 8.000 Bands, die einen ähnlichen muffelig-halligen Sound bemühen.
Thaddeus: Stimmt. Der Mix ist einfach 1:1. Läuft ja immer noch. Warum?
Ji-Hun: Retroschleifen im 20-Jahretakt, wobei man fairerweise sagen muss im Waschzettelsprech: trotzdem unverkennbar Notwist.

08. The Fifth Quarter Of The Globe

Ji-Hun: Das ging mir jetzt zu schnell ...
Thaddeus: War was?

06. From One Wrong Place To The Next

Thaddeus: Oh ha, dieser Loop gleich zu Beginn, der hätte jetzt gerne zehn Minuten durchlaufen können. Episch schön.
Ji-Hun: Eiert auch wieder wie ein Neuköllner Alkoholiker.
Thaddeus: Ey, Notwist: Euer Mellotron ist kaputt!
Ji-Hun: Kaputt ist doch das neue Gestimmt.
Thaddeus: Unbedingt. Bislang mein Highlight der Platte. Sehr „klopfig”. Minimaler Bounce untenrum. Sehr fein.

closertoglass
notwistlive

09. Run Run Run

Ji-Hun: Barock.
Thaddeus: Ja?
Ji-Hun: Schon, mit HipHop-Beat, hätte auch ein 13&God-Song sein können.
Thaddeus: Ah, jetzt kommen die Bläser von Acher ihre Papas Bierzelt-Band. Sehr gut.
Ji-Hun: Total, vermisse ich seit der „Shrink“ sowieso am meisten.
Thaddeus: Ein ganz, ganz, toller Song.
Ji-Hun: Bin ich bei dir. Neben Casino ein Highlight. Kriegt vier Pitchfork-Punkte von mir.
Thaddeus: Hier stimmt das Verhältnis perfekt. Alles fließt ineinander, so wird ein Schuh draus. Dass das nicht immer funktionieren kann - und vor allem soll, so wie ich mir das wünsche - ist logisch. Notwist ist und bleibt ein ambitioniertes Projekt, das auch gerne mal in ein Fettnäpfchen treten kann.
Ji-Hun: Und dann doch die Techno-Kick. Da machen wir nen Edit.
Thaddeus: Vielleicht arbeiten sie ja schon an einem neuen Projekt mit Brandt Brauer Frick.
Ji-Hun: Hoffentlich nicht, da sehe ich Katastrophen passieren.

10. Steppin‘ In

Thaddeus: Den Grüntee hätte ich nicht nochmal aufgegossen. Nach dem 4. Flush ist dann auch mal gut.
Ji-Hun: Du und deine Gehässigkeit. Das sind doch solide Anfang-40er-Emotionen!
Thaddeus: Schau genau hin, ich weine schon ein bisschen.
Ji-Hun: Na siehste!

11. Lineri

Thaddeus: Zu Drone-Intros fällt mir nichts mehr ein. Ah, sanfter Beat. Schön!
Ji-Hun: Ist das jetzt der Quoten-Instrumentaltrack? Hör‘ mal, das sind die Akkorde von Chris Isaaks „Wicked Games“!
Thaddeus: Shit! Na klar! Aber ist ganz und gar wundervoll. Und ich sage dir: Wicked Games kommt zurück. Clara Moto hat das auch erst kürzlich gecovert. Das war zwar eher … naja, edgy, aber der Song kommt wieder. Absolutes Highlight bislang. Dieser Track hier, nicht Clara Moto.
Ji-Hun: Für mich war „Wicked Games“ schon immer ein ganz großer Song, aber das hier? Muss das eigentlich sein? So nach dem Motto, jetzt machen wir noch mal auf voll gechillt und hauen zum Ende den ganzen Werkzeugkoffer raus?
Thaddeus: Ich höre keinen 12er-Schrauber, nur Herzen.
Ji-Hun: Ich meinte das auch eher mit Blick auf den Albumzusammenhang, da kommt doch nur noch ein Song, oder nicht?
Thaddeus: Weiß nicht, du hast den iPod vor der Nase. Von dem Track lass ich mir eine Dubplate schneiden. Einfach so.
Ji-Hun: Für mich dann bitte auch. Danke. Wär der Track nicht von Notwist, fänd ich den ultrageil. Spaß, ist auch so gut.

12.They Follow Me

Ji-Hun: Klarinetten? Sag ja, zum Ende wird noch mal das dezente Epos ausgepackt.
Thaddeus: Das Album wird gen Ende tatsächlich nochmal deutlich besser und eindrücklicher. Luftiger. Und natürlich auch klassischer im Notwist-Sinn, anno „Neon Golden“.
Ji-Hun: Da flirrt es auch wieder. Ist schon groß, was da passiert. Aber was sagen wir nun? Eigentlich haben Notwist ja nie eine schlechte Platte gemacht. Die Streicher jetzt sind fantastisch.
Thaddeus: Die hier ist ja auch alles andere als schlecht, im Gegenteil. Ein paar Sounds sind mir zu prätentiös und auch zu altbacken - gerade auf der elektronischen Seite des Mischpults, aber einen wirklich schlechten Song habe ich hier nicht gehört. Ganz und gar nicht. Und es wird stetig besser. Je weiter man hört. So können auch nur Notwist ein Album sequenzieren.
Ji-Hun: Ich höre ja viel Krautrock raus. Also das, was ohnehin wieder kommt im großen Stil. Geräte, weniger Computer, Zufall mit Schaltkreisen und so ein Quatsch. Aber noch mal wie befürchtet, der letzte Song ist definitiv das beste Stück, da musste man vorher nochmal neun Minuten instrumental Luft holen.
Thaddeus: Ich weiß ja bis heute nicht, was Krautrock sein soll und möchte es gerne auch dabei belassen.
Ji-Hun: Können wir gerne machen. Was hören wir als nächstes?
Thaddeus: Bin doch noch gar nicht fertig. Ich muss nochmal zurück zu „Neon Golden“. Da war der letzte Track ja auch der beste. Wie war das auf „The Devil, You and me“? Erinnerst du dich? Dieses Album ist bei mir überhaupt nicht hängengeblieben. Wichtige Information für mein Resümee: Die hier, die neue Platte, fühlt sich wichtiger an.
Ji-Hun: Liiieef mi Elokwenz Loow? „The Devil, You and Me“ ist auch nicht soo hängen geblieben. Muss aber auch sagen, dass mich zu der Zeit der Sound auch nicht so interessiert hat, da muss ich mich Wischiwaschi ein bisschen rauswinden. Ich muss sagen, gefällt mir aber sehr gut. Wenn auch in der ersten Hälfte ein bisschen indifferent und unentschlossen. Ich hätte drei Songs rausgenommen und es wär ein Knaller.
Thaddeus: Das ist der Weilheimer Metadon-Rausch, der langsam greift.
Ji-Hun: Das ist ja nahezu böswillig. Das sollten wir nicht als letztes Wort so stehen lassen.

Dennis HlynskiVideos zwischen Kunst und ornithologischem Nerdism

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