„Die musikalische Mittelschicht existiert nicht mehr“Lambchop im Interview

Lambshop Ji-Hun Kim Start Alt

Die Band Lambchop kann auf eine mittlerweile 30-jährige Geschichte zurückblicken. In dieser langen Historie konnte sich ihr Sänger Kurt Wagner nicht nur als einer der besten Songwriter seiner Generation profilieren, auch sind währenddessen zahlreiche Album-Meisterwerke wie „Nixon“, „Is A Woman“ und „OH (Ohio)“ entstanden. Nach dreijähriger Abstinenz meldet sich die Band aus Nashville mit ihrem neuen Album „This (is what I wanted to tell you)“ gekonnt und eindrucksvoll zurück. Kurt Wagner kam für Interviewtermine nach Berlin und sprach dort mit Ji-Hun Kim über das Missverständnis Autotune, Punksongs für Spotify und wieso Sozialismus Pop retten könnte.

Zuerst würde ich gerne mit dir über Autotune sprechen. Mit der Zeit wurde das zu einem wesentlichen Bestandteil deiner Musik. Ich kenne auch Stimmen von Fans, die über den Einsatz nicht so erfreut sind.
Das kann sein, dass das einige abturnt, aber ich weiß auch, dass ich viele damit abholen konnte.

Autotune kann in der Popmusik sehr unterschiedlich angewandt werden. Wie beschreibst du deinen Ansatz?
Für mich geht es an erster Stelle um das Prozessieren meiner Stimme. Autotune ist ein kleiner Aspekt im Bereich des Voice Processing. Es gibt viele andere Effekte wie Harmonizer, die bei mir ebenfalls eingesetzt werden. Es geht mir eher darum, unterschiedlichste Effekte für die Stimmbearbeitung zu benutzen. Das Problem, das ich mit dem Thema habe, ist, dass das nur einen Teil abbildet und Leute glauben, sich daran abarbeiten zu können. Für mich ist T-Pain Autotune, Kraftwerk haben auch sehr viel mit ihren Stimmen gearbeitet, da sagt aber auch keiner Autotune dazu. Ich bemühe mich um Vielfalt und weniger um Kategorien. Mir schmeckt diese negative Konnotation, die dabei immer mitschwingt, nicht.

Woher kommt diese negative Haltung?
Das rührt daher, dass Autotune ursprünglich ein Tool für Sänger*innen war, die den Ton nicht treffen können. Mit der Zeit konnte es sich als Instrument emanzipieren. Aber bis dahin war es eine Korrekturmethode für die menschliche Stimme. Am Anfang wurde es viel in der Country-Musik eingesetzt, dort aber eher so, dass man möglichst wenige Artefakte zu hören bekommt. Es ging hauptsächlich um Tonhöhenanpassung. Das war die ursprüngliche Intention von Autotune. Heute wird es benutzt, um bewusst eine Stimme auch im Sound zu manipulieren. Oft klingt es dann, als hätte man vorher einen Heliumballon inhaliert. Das ist ja auch beides wirklich witzig. Echo und Hall sind Effekte, die nun eine ganze Weile Bestand haben und ohne die Musik ja gar nicht vorstellbar wäre. Nun kommt aber dieses Autotune zusätzlich in die Werkzeugkiste, es wird damit kreativ gearbeitet und Leute fangen an, sich darüber aufzuregen.

Das verstehe ich total.
Aber dass man dennoch in Kontexte gesteckt wird, die man gar nicht bespielt. Das war mir seltsamerweise ja schon vorher klar. So eine Haltung der Kritiker kann man aber generell auch mal hinterfragen (lacht).

Bei deinem neuen Album schichtest du deine Vocals wie Partituren. Sie bilden eigene Akkordfolgen und es geht viel um Harmonien. Ich frage mich, ob diese generelle Abneigung gegen Autotune auch was mit dieser genuin-digitalen Klangästhetik zu tun hat.
Wir haben uns unsere Gedanken dazu gemacht. Wir fußen mit Lambchop in einer gewissen Alt-Country-Tradition, und gerade hier ging es nie um irgendwelche Innovationen. Das hat nie jemanden interessiert. Ich mag zwar noch immer diesen klassischen Vibe. Sobald etwas aber da nicht reinpasst oder Gewohnheiten in Frage gestellt werden, wird das sofort zum Problem deklariert. Traditionelle oder die Revitalisierung solcher Musik definiert sich durch ihren Anspruch quasi selbst. Es geht aber nicht um richtig oder falsch. Aber ja, als wir in den vergangenen Jahren mit der Stimmbearbeitung immer weiter gingen, haben die uns die Tür vor der Nase zugeknallt.

Wie geht man mit so einer Kritik um?
Es ist doch engstirnig. Sollen sie doch glauben, woran sie glauben möchten – in meiner Welt gibt es so viel zu entdecken und zu lernen. Wieso sollte ich davon auch nur eine Tür verschließen? Wir leben in einer Zeit, in der es so viele Arten von Musik gibt. Und so vieles darunter ist so gut. Vielleicht gibt es mehr gute Musik, als du je hören kannst. Dieser Reichtum an Sounds, jeden Freitag aufs Neue. Das ist doch großartig. Ich habe vor sechs Monaten angefangen, Spotify zu hören und so sehr ich voreingenommen gewesen sein mag – meine Musik wird vielen Menschen zugänglich gemacht. Es ist doch gut so, wie es ist. Ich selber kann so viele Sachen entdecken. Manchmal tue ich mich schwer damit, weil die Logik dieses Entdeckens eine andere ist. Es wird dafür ziemlich deep. Louis Armstrong oder auch Bill Evans. Mir war nicht klar, dass so viele Aufnahmen erschienen sind.

Ich wundere mich, wie viele Sachen es auch einfach nicht mehr gibt.
Das meine ich mit Entdecken. Auf der anderen Seite wird es sehr schwer gemacht, das Gefühl zu bekommen, es würde irgendetwas fehlen. Vermisst du etwas? Glaubst du, es gibt so etwas wie nicht für Spotify geeignetes Material?

„Vor kurzem hieß es doch noch, jetzt wäre wieder die Zeit für Konzeptalben, lange Stücke und extravagante Produktion. Dann zeigt die Realität, dass es doch wieder ganz anders läuft.“

Das soll jetzt nicht wie eine Verschwörungstheorie klingen, aber obwohl Spotify einem die vermeintliche Unendlichkeit verspricht, werden die Zugänge meines Erachtens immer schmaler. Bei Neuerscheinungen werden meistens nur noch Major-Releases gefeaturet, große Playlists sind zu begehrten Werbemarktplätzen geworden. Dann kommt hinzu, dass die Musik sich ästhetisch der Spotify-Doktrin angepasst hat. Es gab kürzlich die Diskussion, dass heute in den großen Pop-Produktionen in den ersten 30 Sekunden alles gegeben wird, damit das als vollwertiger Stream gewertet werden kann. Die Songs auf Alben wurden tendenziell kürzer.
Glaubst du, da gibt es einen Zusammenhang zwischen immer kürzer werdenden Songs und den Streaming-Verwertungsmechanismen?

Musik wird durch ihre Medien geprägt. Die Radiosong-Länge von 3:30 Minuten wurde durch die Spiellänge einer Vinyl-Singleseite geprägt. Die CD war mit 74 Minuten so lang, damit die Neunte von Beethoven drauf passt. Also warum einen Song sehr viel länger machen, wenn man eigentlich nur 30 Sekunden für die verwertbare Einheit braucht? Ich glaube schon, dass in der Liga von Drake eine hohe Anzahl von Tracks auf einem Album auch finanziell einen Unterschied macht.
Vor kurzem hieß es doch noch, jetzt wäre wieder die Zeit für Konzeptalben, lange Stücke und extravagante Produktion. Ich erinnere mich, dass eine Zeit lang alle nur über so was gesprochen haben und dann zeigt die Realität, dass es doch wieder ganz anders läuft.

Lambchop Ji-Hun Kim workshop

Auch große Rap-Hits werden auf Basis von marktrelevanten Userdaten produziert. Das war aber vielleicht immer so, nur heute eben mit genaueren und anderen Mitteln. Früher wusste man, dass jemand deine Platte in New York gekauft hat, heute weiß man, wann, wie oft und an welchen Orten deine Musik gehört wird. Man hört auf dem Weg zur Arbeit oder im Fitnessstudio andere Musik als zu Hause.
Ich habe auch das Gefühl, dass es heute wieder mehr um Videos geht. Oft kurze, dafür aber aufwendige Produktionen. Das finde ich zweifelsohne spannend, frage mich aber oft, ob die Musik von den Bildern entkoppelt funktioniert.

Welche Rolle spielt dabei das Songwriting? Ich schaue mir die Credits bei Kanye West an und pro Song sind teils 50 Autoren gelistet. Gerade du, der doch tausende Songs alleine komponiert und geschrieben hat. Geht es beim Songwriting nicht auch um eine persönliche Handschrift? Wie erklärst du dir diesen Aufriss? Könntest du dir vorstellen, in einer Agentur mit 30 anderen einen Hit zu produzieren?
Da hängen viele finanzielle Interessen dran. Bei Kanye ist es wahrscheinlich eher so, dass er so viele Credits nennen muss, damit er sich an den Sounds bedienen kann. Ob sie gesamplet oder diejenigen dazu beauftragt wurden, einen speziellen Sound zu kreieren. Da geht es darum, einen Rechtsstreit vorzubeugen. Das ist doch genauso absurd. Technologie sollte dir doch die Freiheit geben zu tun, whatever the fuck you want. Stattdessen werden Samples eins zu eins nachgespielt und dann wieder gesamplet. Sampling war doch eigentlich mal die Freiheit, sich einfach ein Stück zu greifen und etwas Neues daraus zu schaffen. Es geht dabei doch auch um die Wertschätzung von Künstlern untereinander. Aber kann jemand einzelnem wirklich eine Idee gehören? Ich frage mich, wie es wäre, wenn Musik überhaupt nichts mehr kosten würde, dann dürfte jeder auch alles benutzen, so wie er möchte. Man verkauft es einfach nicht mehr. Wie wäre das?

Am Ende ist Popkultur per Definition kapitalistisch?
Ich denke, dass Spotify und andere Plattformen ohnehin schon dazu beitragen. Die Zeiten sind schlichtweg vorbei, in denen man als Musiker Geld verdient. Zumindest für etwas, wie wir das tun. Musik machen ist doch aber eine der reinsten Aktivitäten, die man sich überhaupt vorstellen kann. Wieso muss das als Wachstumskonzept gedacht werden?

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Verstehe ich das richtig? Es wird immer schwieriger Musik zu machen?
Absolut.

Das Internet war mal ein utopischer Ort: die Demokratisierung der Produktionsmethoden, der Zugang zu Materialien. Da waren wir doch mal optimistisch.
Ich ja auch! Ich war überzeugt davon, dass das eine gute Sache ist. Nicht, dass das der Klimax in der Kapitalisierung von Musik wird.

Ich hatte einst große Hoffnungen in die Indie-Kultur gesetzt und gedacht, dass gerade unabhängige Künstler*innen davon profitieren würden.
Das Gegenteil ist der Fall.

Einige wenige machen viel Geld und der Rest nicht mehr?
Auch hier hat man die Mittelschicht abgeschüttelt. So gibt es nur noch die, die haben und die, die nichts haben. Die musikalische Mittelklasse existiert nicht mehr. Ich war über die Jahre mal kurz davor, ein Musiker der Mittelschicht zu werden. Heute befinde ich mich wieder auf der Schwelle, Dinge nicht so machen zu können, wie ich es eigentlich wollen würde – gerade mit der Musik, die ich mache. Aber man kann nur der sein, der man ist. Ich habe nicht ausgewählt, ein Loser zu sein (lacht). Ich bin nicht in der Lage eine andere Musik zu machen, nur weil sie vielleicht mehr Geld verspricht.

Mich würde das traurig machen und frustrieren. Auf der anderen Seite bist du ein international bekannter Musiker. Wir sitzen hier in Berlin, damit wir dieses Gespräch führen können. Nach unten gibt es mit Sicherheit noch Luft.
Man muss die Dinge so nehmen wie sie sind und keine Erwartungen haben. Man sollte aber auch schauen, dass man sich nicht zu abhängig davon macht, um über die Runden zu kommen. Aber ich bin bestimmt dazu, weiterzumachen. Und gerade die technischen Möglichkeiten machen mir es so einfach wie nie zuvor, ein Album zu produzieren. Ob sie jemand hört oder kauft – was spielt das schon für eine Rolle. Ich bin froh, dass ich Musik kreieren kann. Ab einem gewissen Punkt wird sich bestimmt keiner mehr um mich scheren. Aber damit bin ich fein. Solange ich Platten aufnehmen kann, bin ich glücklich. Ob sie irgendjemand kauft, konnte ich noch nie beeinflussen. Im Bereich der Musik gibt doch keiner mehr Geld aus. Als Musiker geht es im digitalen Zeitalter darum, welche Bruchteile eines Pennies man bekommt.

„Man kann künstlerische Freiheiten einbüßen, wenn sich die Regierung plötzlich in deine Arbeiten einmischt.“

Welche Rolle können Künstler*innen dann noch in der Zukunft spielen, wenn ihnen heute schon die Existenz so schwer gemacht wird?
Die Rolle verändert sich. Ich finde das auch ein bisschen beunruhigend. Ich habe immer öfter das Gefühl, dass Kunst für staatliche Sachen vereinnahmt wird. So Dinge wie repräsentative Kulturförderung, wobei es ja immer auch um politische Werte geht. Das ist in den USA so, in Frankreich und auch in Kanada. Wenn man sich aber als Künstlerperson für so etwas vereinnahmen lässt, dann gehört man auch denen. Auch Bands wie Godspeed! You Black Emperor versuchen, mit solchen Geldern eine stabile Existenz aufzubauen – das ist immer ein Kompromiss. Man kann künstlerische Freiheiten einbüßen, wenn sich die Regierung plötzlich in deine Arbeiten einmischt. Es geht aber auch darum, dass heute immer mehr Sachen für Social Media gemacht werden. Ich habe gelernt, Musik für Menschen zu machen. Heute wird viel Content ausschließlich für gute Zahlen bei Social Media produziert, und das ist doch offenbar erst der Anfang. Social Media verändert gerade die gesamte Gesellschaft. Donald Trump und Brexit sind wegen Social-Media-Datenauswertungen und gezielter Werbung so erfolgreich gewesen. Und dieser verrückte Scheiß passiert gerade auf der ganzen Welt. Weil man herausgefunden hat, wie man so ein System für ziemlich bösartige Absichten wie dem Streuen von Hass missbrauchen kann.

Es gibt aber keinen Weg mehr zurück. Das lässt sich nicht mehr abstellen.
Das Einzige, was man sich vorstellen könnte ist, das System zu rekanalisieren. Dass irgendein besonders kluger Mensch herausfindet, wie man diesen negativen Scheiß eliminieren kann und mal ein bisschen positive Energie reinlässt. So wie es jetzt läuft, ist doch Besorgnis erregend.

Lambchop Smoke Ji-Hun Kim

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